29. Mai 2017

Zum Frühstück nach Prag

Als es vor einigen Jahren um den Lückenschluß der Autobahn zwischen Dresden und Prag ging, warb einer der Befürworter mit diesem griffigen Slogan für das Projekt. Allerdings dachte er dabei wohl eher an die Autofahrer.

Mal abgesehen davon, daß ich so etwas für ökologisch ziemlich fragwürdig halte, faszinierte mich diese Idee. Letzten Anstoß erhielt das Projekt im vergangenen Jahr, nachdem ich darüber spaßeshalber mit meiner Physiotherapeutin gesprochen hatte. Ich setzte mich also zuhause an den Rechner und kalkulierte auf Bikemap.net und GPSies.com mögliche Varianten durch. Das Ergebnis: Es war machbar, auf einem Ritt zur tschechischen Hauptstadt und wieder zurück nach Pirna zu kommen!

Leider stieg kurz darauf mein Fahrradnavi aus, denn der zum Nachladen so wichtige MiniUSB-Anschluß gab den Geist auf. Ohne diese Unterstützung war aber an ein zügiges Vorwärtskommen nicht zu denken. Der Plan wurde vertagt. Doch auch nachdem ich mein repariertes TEASI wieder zurück hatte, hinderten mich 2016 verschiedene unglückliche Umstände an der Verwirklichung des Vorhabens.

Nach der gemeinsamen Tourenwoche mit meinen bayerischen Freunden Gitti und Toni im Elbsandsteingebirge sah ich jedoch meine Zeit gekommen. 6 Touren innerhalb von einer reichlichen Woche - keine davon unter 100 km - hatten mich gut in Form gebracht. Dazu gab es eine schon lang anhaltende Schönwetterperiode mit nahezu perfekten Bedingungen - Wann, wenn nicht jetzt!

Schon allein wegen der Streckenlänge plante ich von vornherein mit einer Nachtfahrt. Übrigens ein weiterer Punkt, warum ein Navigationsgerät für diese Aktion nahezu unumgänglich war. Ohne dieses wäre die Orientierung bei völliger Dunkelheit im unbekannten Gelände völlig unmöglich.

Außerdem sollte die Tour getreu nach den von mir aufgestellten Regeln analog des "by fair means" im Alpinismus ablaufen. Dort bedeutet dies, daß bei einer Gipfelbesteigung beispielsweise auf Flaschensauerstoff und Träger verzichtet wird, um dadurch den sportlichen Wert des Aufstiegs sicherzustellen. Umgemünzt auf das Handbiken, hieß das für mich:
- alles Notwendige selbst auf dem Handbike mitzuführen, d. h. KEINE externe Unterstützung von Begleitfahrzeugen für den Transport von Bekleidung, Nahrung, Getränken, Reparaturmaterial (bei Pannen), Hygieneartikel usw.
- KEINE Pacemaker (Schrittmacher auf dem Rad, die das Tempo vorgeben) und KEIN Windschattenfahren
Der Verzicht kostete mich zwar erheblich Zeit und Kraft, bot aber auch den Vorteil, mich komplett unabhängig in Zeit und Raum bewegen zu können. Den einzigen "Luxus", den ich mir leistete, war ein Handy für außergewöhnliche Notfälle. Einige meiner engsten Freunde - meine Kumpeline und meinen tschechischen Sportfreund - hatte ich zuvor informiert, damit sie bei Bedarf ggf. Hilfe leisten können.

Am Sonnabendmorgen kam bei mir dann tatsächlich so ein Gefühl wie bei meinem Start zur Vätternrundan 2008 und zum Styrkeprøven 2012 auf. Diese Aufregung, dieses "lieber jetzt gleich starten" hätte ich eigentlich gar nicht erwartet, zumal ich durch keine Termine unter Druck gesetzt wurde. Immerhin gab es aber auch einige sehr gute Freunde, denen ich im Vertrauen mal von der Sache erzählt hatte. Doch mein Wort ist Gesetz - wenn ich etwas (nach reiflicher Überlegung) publik mache, dann wird das auch umgesetzt!

Aus diesem Grund hielt es mich beim "Vorschlafen" auch nur bis 15.00 Uhr im Bett. Ursprünglich wollte ich gegen 19.00 Uhr starten. Nach einer großen Portion Spaghetti wurde es dann aber bereits 16.30 Uhr. Letzten Endes war es definitiv die richtige Entscheidung. Im Abendlicht gab es den ersten großen Moment auf dem Nollendorfer Paß (Nakléřovský průsmyk). Bis weit nach Osten ins Lausitzer Bergland konnte man schauen, und ich meine sogar, am Horizont den Jeschken (Ještěd) bei Reichenberg (Liberec) erkannt zu haben.

Abend am Nollendorfer Paß (Aufnahmeort)
Die Sonne begleitete mich noch eine ganze Weile. Erst nach dem zweiten großen Anstieg am Milleschauer (Milešovka) im Böhmischen Mittelgebirge wurde es dunkel. Dann begann die Nachtfahrt. Im Hellen ist das durchfahrene Gebiet zwischen Böhmischen Mittelgebirge und der Hasenburg (Hazmburk) unbedingt ein Erlebnis, doch nun galt es für mich nur, Meter zu machen. Trotzdem konnte ich nicht ganz unbeschwert fahren. Nicht jedes Schlagloch oder Hindernis ist im Schein der Stirnlampe bei hohem Tempo rechtzeitig genug zu erkennen, und eine Reifenpanne in der Nacht wäre bereits eine Beinahe-Katastrophe. Die Nachtfahrt ging schließlich um einiges langsamer als gewöhnlich vonstatten und war vor allem für die Augen eine echte Herausforderung.

Dazu kam die anspruchsvolle Strecke. Wenn ich gedacht hatte, nach den beiden großen Anstiegen zu Beginn der Fahrt sei Prag quasi im Tiefflug zu erreichen, so irrte ich mich gewaltig. Dieses ständige kurze Hoch und Runter auf meinem Weg in die Hauptstadt setzte mir ordentlich zu. Im Höhenprofil der Tour auf GPSIEs.com kann man das sehr gut nachvollziehen. Am Umkehrpunkt, der Karlsbrücke in Prag, waren inzwischen auf 148 km bereits mehr als 1600 Hm zusammengekommen.

In der goldenen Stadt: Morgens auf der Karlsbrücke (Aufnahmeort)
Apropos Karlsbrücke. Ca. 5.30 Uhr kam ich da an und war ziemlich überrascht davon, daß sich dort bereits zahlreiche Touristen - vorzugsweise Asiaten - tummelten. Zwei japanische Hochzeitspaare nutzten sogar die Gelegenheit, im Licht der aufgehenden Sonne ihre ganz persönlichen Hochzeitsbilder machen zu lassen. Denn wohl nur zu dieser Tageszeit ist die Brücke noch nicht von Menschenmassen in Beschlag genommen und tatsächlich ein sehr romantischer Ort. Einen Fotografen zu finden, der mir mein Dokumentationsfoto schoß, war jedenfalls nicht schwer. Ein mit Super-Extra-Sonderkamera ausgestatteter und sich damit als Profi offenbarender Japaner war genau der richtige Mann für mich. Endlich mal einer, der bei diesem Motiv einen Blick für den richtigen Ausschnitt und den passenden Standort hatte.

Die Rückfahrt verlief weniger spektaklär. Zunächst nervte mich der Prager Großstadtdschungel ordentlich, der trotz der nachzufahrenden Strecke auf dem Navi mich viel Zeit und einige ungeplante Umwege kostete. Endlich auf dem Land, zogen sich die Kilometer auf stark befahrenen bundesstraßenähnlichen Verkehrswegen endlos lange hin. Dazu war die Landschaft dermaßen langweilig und reizlos, daß ich ein, zwei Male kurz vor dem Einnicken hochschreckte. Solch ein eintöniges Gebiet habe ich lange nicht mehr durchfahren!

Besser wurde das erst wieder ab Leitmeritz (Litoměřice), doch dort begann eigentlich schon mein heimatliches Einzugsgebiet. Mittlerweile belief sich die Streckenbilanz auf 207 km und ca. 2600 Hm. Und ich war noch gut dabei! Am meisten setzte mir inzwischen die Wärme zu. (Auch deshalb hatte ich den anstrengendsten Teil der Fahrt in die kühlen Abend- und Nachtstunden verlegt.) Meine mitgenommenen zwei Liter Flüssigkeit gingen bedrohlich zur Neige. Der Inhalt zweier zusätzlicher 0,33l-Flaschen Coca-Cola, die ich mir auf dem Markt von Leitmeritz in einem Restaurant genehmigte, verdampfte geradezu in der Kehle. Es ist eben nicht ganz einfach, sich unterwegs zu versorgen, denn in die großen Supermärkte (die in Tschechien auch sonntags geöffnet haben) komme ich mit meinem Handbike nicht hinein.

Immerhin brachte mich diese Flüssigkeits- und Energiezufuhr wieder in Schwung, so daß ich mich nicht für den flachen Elberadweg entschied, sondern die hügeligere Variante auf der Hauptstraße für den Weiterweg wählte. Im Prinzip handelte es sich ja sowieso nur noch um ein Abspulen längst bekannten Geländes. Schön ist die Fahrt im Elbtal auf jeden Fall, doch irgendwann kennt man dann jede Kurve, jeden Anstieg, jeden Kieselstein an der Strecke ...

16.40 Uhr, nach 24 Stunden und 10 Minuten, erreichte mein getreues Pferdchen wieder den Stall in Pirna. Das Endergebnis: 306 km und 3050 Hm in knapp 21 Sunden, 34 Minuten Fahrtzeit. Das mag mit 14,2 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit nicht besonders schnell klingen, geht aber angesichts der Begleitumstände absolut in Ordnung. Das waren: ein anspruchsvolles Streckenprofil, eine anstrengende Nachtfahrt, ca. 6 kg Zusatzgepäck sowie die zeitraubende Navigation in Prag und Leitmeritz. Für mich ist das schon jetzt einer der Touren-Höhepunkte des Jahres 2017!

Ich widme diese Tour meiner Mutti, die im vergangenen Jahr bei einem Fahrradunfall ums Leben kam.

Sie wäre stolz auf mich.

Track der Handbiketour vom 27.-28.05.2017

4 Kommentare :

Láďa hat gesagt…

An amazing trip! Neuvěřitelné! Super!

Anonym hat gesagt…

Das ist wirklich ein Knüller, den du da geschafft hast. Du kannst sehr stolz auf dich sein, Veit!
Bei uns in Bayern sagt man zu so Jemanden:
Des is a wuida Hund (hochdeutsch: das ist ein wilder Hund) - und das darfst du durchaus als Kompliment auffassen.
Übrigens hast du im Text etwas "tiefgestapelt" - die Tour war meines Wissens 306 km lang und nicht 206, wie du geschrieben hast...
Viele Grüße, Gitti

Veit hat gesagt…

Schon korrigiert! :-)

Toni Engelhard hat gesagt…

Gratuliere Veit, das ist schon ein starkes Stück was du da abgeliefert hast. Aber mir war klar wenn es einer Packt dann bist du das.

Viele Grüße, Toni